Benediktshof Münster

Predigt zu Joh 21, 15-19 am Sonntag Quasimodogeniti (28.04.2019) Benediktshof Münster

Doerthe Brandner, Pfarrerin Ev. Kirchengemeinde Hüls

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der das kommt.
Amen

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Joh 21 und erzählt von der Begegnung des Auferstandenen mit Petrus.

Ich lese die Verse 15-19 nach der Übersetzung Martin Luthers:

Predigttext: Joh 21, 15 - 19

15 Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus:
Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben?
Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!

16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm:
Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?
Er spricht zu ihm:
Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm:
Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?
Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir:
Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken
und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.

19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde.
Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

 

Liebe Schwester und Brüder,

  • was mag Maria, die Mutter Jesu bewogen haben, nach Golgatha, der Hinrichtungsstätte Jesu zu gehen und mit anzusehen, wie ihr Sohn auf grausamste Weise zu Tode gebracht wurde?
  • Was mag damals in den 70er Jahren die Mutter von Gudrun Ensslin, der Terroristin, veranlasst haben, ihre Tochter im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stammheim zu besuchen, während der Vater, ein evang. Pfarrer, den Kontakt und die Begegnung ablehnte?
  • Was bewegte die Madres de la Plaza de Mayo, diese argentinischen Mütter, deren erwachsene Kinder unter der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verschwanden und - wie sich später herausstellte - zum überwiegenden Teil ermordet wurden, öffentlich zu protestieren und sich damit selbst in höchste Gefahr zu bringen?
  • Was trieb Janusz Korczak, den polnischen Arzt, Pädagogen und Kinderbuchautoren dazu, die Kinder seines Waisenhauses 1942 in ein Vernichtungslager zu begleiten, obwohl das für ihn gleichermaßen den Tod bedeutete?
  • Was ließ Alfred Delp, den Jesuiten, festhalten an seinem unbedingten Glauben im Angesicht des Todes und der bevorstehenden und dann am 2. Febr. 1945 auch vollzogenen Hinrichtung durch die Nazis?

Was, liebe Schwestern und Brüder,

ist so stark, dass es Menschen dazu bewegen kann, Schritte zu tun und Wege zu gehen, die sie niemals aus eigener Kraft gehen könnten und sich dorthin führen zu lassen, wo kein Mensch sein möchte -

  • zu Orten des Todes und des Hasses, der Gewalt und der Hoffnungslosigkeit?

Welche Macht ist das, die bewirkt,
dass man dem eigenen Wollen und Suchen,
dem gegenüber, was einem selber dient,
ohn-mächtig wird und man sich ganz hineinwirft in eine Führung,
von der man weiß, dass sie einen an einen Ort bringt, an den man nicht will?

Die Macht der Liebe ist es.

Wer sich dieser Macht anvertraut, wer es wagst, sich in dieser Macht zu verlieren, erfährt eine Kraft, die jedes "Ich will" oder "Ich will nicht" weit übersteigt - ja, es unwichtig und bedeutungslos werden lässt.

In den Sog der Liebe geraten, ziehst du mit - wenn sie dich führt, wohin du nicht willst.

"... ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst."

Ob Petrus verstanden hat, was Jesus als der Auferstandene sagte, als er das zu ihm sagte? Ob er eine Ahnung hatte, dass diese Worte bedeuten können, dass er Schweres und Schwerstes erleben und erleiden wird, weil er festhalten wird an der Liebe?

"... ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst."

Diese Worte gehören wohl zu den Sätzen, die sich dem rationalen Verstandesbegreifen entziehen - ja, die höher sind als alle Vernunft, und die man erst begreift, wenn sie zur Tat werden.

Und zur Tat können sie nur für den Menschen werden, der gegründet ist in der Liebe. - In einer Liebe, die nichts zu tun hat mit himmelhochjauchzend und Schmetterlingen im Bauch, sondern die den Tod kennt - und die gewachsen ist wie Weizen, der als grüner Halm aus dem Korn bricht, dass in die Erde, in den Tod versenkt wurde.

Wir singen: Korn, das in die Erde - eg 98, Str. 1

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim der aus dem Acker in den Morgen dringt -
Liebe lebt auf, die längst verloren schien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün

Wir erinnern uns:
"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht."

Jesus hatte das gesagt, als er vor seinem Tod, seine Jüngerinnen und Jünger mit immer neuen Worte hineinnahm in das, was ihm geschehen wird und was dieses Geschehen für sie bedeuten würde.

Und dann ist Jesus gestorben.

Keines natürlichen Todes und keines tragischen Unfalltodes, sondern ermordet als Opfer von Gewalt und Willkür.

Und mit gestorben ist die Hoffnung der Seinen - ist die Liebe, die sie glaubten.

Nicht sehen konnten sie, dass Jesu Weg der Weg der Liebe war,
den er ging, um der Liebe willen, geführt von dem Einen an den Ort, an den er nicht wollte.

 

Wir singen: Korn, das in die Erde - eg 98, Str. 2

Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün.

Und jeder der Jünger Jesu ging auf seine Weise denselben Weg wie Jesus.

Jeder erfuhr den Tod und erfuhr ihn auf gewaltsame Weise.

  • Judas erfuhr ihn durch seinen Verrat.
  • Jakobus und Johannes erfuhren ihn durch ihren Schlaf im Garten Gethsemane als Jesus sie um ihr Da-Sein bat.
  • Alle erfuhren ihn, als sie flohen, als Jesus verhaftet wurde.

Und auch Petrus erfuhr ihn. - Vielleicht am bittersten erfuhr er ihn.

Für Petrus starb sein Selbstbild.
Simon, so war sein Name von Geburt an. Simon, Sohn des Johannes.
Und Petrus, Fels, nannte ihn Jesus.
Ein Fels, auf den man sich verlassen kann und auf den man bauen kann.
Und genau das wollte Petrus auch sein.
Niemals würde er Jesus verlassen.
Immer würde er dahin gehen, wohin Jesus gehen würde.
So hatte er es Jesus vor allen anderen versichert.
So war er selber von sich überzeugt.

Sein Name - Petrus - ein Programm. So sollte es sein.
Und dann - dann kam die Nacht der Verhaftung Jesu.
Und Petrus schlich hinter den Soldaten her - so weit reichte sein Mut noch.

Doch als eine Magd ihn erkannte als einen aus Jesu Gemeinschaft, wurde sein Herz zaghaft und klein, verfing es sich im Gestrüpp von Angst und wurde erstickt von den Dornen des verlorenen gegangenen Vertrauens.

Die Macht der Liebe, die Petrus unverbrüchlich zu besitzen glaubte - gebrochen von seiner Menschen - Seelen - Not.

Wir singen: Korn, das in die Erde - eg 98, Str. 3

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn -
hin hing die Nacht, der dritte Tag erschien:
Liebe wächst wie Weizen, und der Halm ist grün.

Und dann wird Ostern.
Die Frauen - Maria von Magdala allen voran - erzählen es den anderen:
Das Grab ist leer. Jesus lebt. Und dann wird Ostern.
Jesus erscheint den Jüngerinnen und Jüngern.
Er grüßt sie in dem Frieden Gottes und bindet sie wieder an an die Kraft Gottes.
Selbst Thomas, der Zweifler, findet dorthin über die Wunden Jesu.

Ostern ist - und man sollte meinen: Alles ist wieder gut.
Ostern ist - Himmelfahrt kann geschehen, damit Pfingsten werden kann.
Ostern ist und alles ist wieder gut.

- Für - fast - alle.

Merkwürdig still ist es um Petrus geworden, der doch sonst immer das große Wort führte und vielfältig Erwähnung finden in den Berichten und Erzählungen der Evangelisten aus Jesu Leben.

Wo ist Petrus?
Was ist mit ihm?

Offensichtlich ist für ihn noch nicht alles gut.

Ostern hat sich ereignet UND Ostern wird erst, wenn es wahr wird je und je im Leben eines jeden Einzelnen.
Für Petrus ist Ostern noch nicht. Gehört hat er davon. Natürlich weiß er davon. Sogar gesehen hat er den Auferstanden schon.
Und doch muss er Ostern erst noch er-leben, damit es auch für ihn wahr wird.

Und so hängt Johannes an den Schluss seines Evangeliums noch diese Geschichte an - die höchstpersönliche Ostergeschichte des Petrus.

Dort erzählt er, dass Petrus, wie einer, für den alles fragwürdig geworden ist, und der nicht mehr weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, Halt in alten und vertrauten Handlungen sucht.

Er geht fischen.
Das war ja sein Beruf.
Die anderen Jünger gehen mit ihm.

Und an diesem Morgen nun kommt es zu dieser Begegnung mit Jesus, die in so vielen kleinen und großen Gesten bei Petrus und den anderen die Erinnerung wachruft an das, was sie gemeinsam mit Jesus damals, bevor alles geschah, gelebt hatten:

  • das überraschende Auftauchen Jesu,
  • das unerwartet volle Fischernetz nach vorher vergeblichem Fang,
  • die gemeinsame Mahlzeit

Und dann endlich wendet sich Jesu Petrus direkt zu, spricht ihn an und fragt: "Hast du mich lieb?"

"Hast du mich lieb?"
- Was ist das für eine Frage, liebe Schwestern und Brüder!

Wenn ein Partner, eine Partnerin in einer Paarbeziehung so fragt, so sät er mehr Zweifel an der Beziehung, als dass er Vergewisserung fände.

"Hast du mich lieb?"
Liebe kann man nicht erfragen.
Man kann sie auch nicht fest-stellen.
Liebe lässt sich nur erfahren - leben - er-leben.

"Hast du mich lieb?"
Das ist die Frage, die Jesus an Petrus stellt.
Nein, gar nicht an Petrus.
Simon spricht Jesus ihn an,
Simon, der Sohn des Johannes, wie Petrus' eigentlicher Name war.
Eine Begegnung, bei der es um die Liebe geht, verträgt keine Titel und Fassaden.

In einer Begegnung, bei der es um die Liebe geht, stehen sich die beiden gleichsam nackt - als die, die sie geboren wurden und deshalb auch gemeint sind - unverstellt gegenüber.

Nicht, ob Petrus Jesus liebt, ist wichtig.

Nicht, ob Frau Pfarrerin, Herr Präses oder Oberkirchenrat, Frau Doktor oder Herr Lehrer, Herr Sozialpädagoge oder Frau Ingenieurin Jesus liebt, ist wichtig.

In der Liebesbegegnung mit Jesus ist man allein als der Mensch wichtig, als der man geboren wurde - wert, bei seinem Namen gerufen zu werden, wie wir in der Taufe erfahren, dass wir bei unserem Namen gerufen werden - ohne wenn und aber und ohne Titel, ohne vorzeigbare Leistung und Erfolg.

  • Und nur als dieser Mensch können wir antworten.

Was mag Petrus empfunden haben, als Jesus ihn so ansprach - Simon - und so fragte?

Und was mag er sich ersehnt haben, nachdem er so bitter gescheitert war?

  • Das Jesus sagt: Es ist wieder gut? - Du bist und bleibst Petrus?

Und ihn dabei in den Arm nimmt und seiner Liebe vergewissert?
Wie hart muss Petrus diese dreimalige Frage Jesu angekommen sein!
Wie offensichtlich muss Petrus sich erinnert haben an sein dreimaliges Verleugnen Jesu.
Hier ist es nicht Jesus, der seine Wunden darbietet, damit auch der letzte Zweifler glauben kann, dass er es ist.

Hier legt Jesus seinen Finger in die offene und schmerzende Wunde des Petrus und sagt:
Sieh hin!
Spür hin!

Mit deinen Wunden, mit deinem Versagen, mit dem, was du als Schuld trägst - MIT all dem: Höre die Frage meiner Liebe.

Und damit geht Jesus mit Petrus den Weg der tödlichen Erinnerung, damit der Zwang der Schuld, die den betroffenen Menschen dazu drängt, sich immer und immer wieder selbst bei der Schuld zu behaften, durchbrochen wird.

Schritt für Schritt geht Jesus mit Petrus den Weg der Trauerarbeit - solange bis endlich - bei der dritten Frage - die erlösenden Tränen durch Petrus fließen... - Auferstehung am dritten Tag...

Nicht einmal fällt in dieser Geschichte das Wort Vergebung und nicht einmal das Wort Auferstehung - und doch atmet die ganze Szene von Anfang an eben diese Vergebung und diese Auferstehung aus allem, was die Seele bindet.

Denn Petrus von Jesus so schmerzhaft auf seine Schwäche und sein Versagen gestoßen, wird nicht auf dieses Versagen festgelegt und bei ihm verhaftet, sondern mit ihm und durch es hindurch beauftragt Jesus Petrus neu.

Und  Petrus erfährt:

Wenn er für andere sorgen soll, muss er auch selbst gut versorgt sein.
Ohne die innere Verbindung der Liebe zu Jesus, kann er nichts tun, wovon er glaubt, es tun zu müssen.
Ohne dieses Liebesband kann er nicht "Petrus" sein.
Früher hat Petrus geglaubt, er könne aus eigener Anstrengung ein besonders guter und vorbildlicher Jünger sein.
Nun erfährt er: Er ist nicht der Macher seines Lebens.

Das einzige, was er tun kann ist, sich dem Leben mit all seinen Toden aus Verzagtheit, Verzweiflung, der Erfahrung zu scheitern... - ja, mit seinem einen großen Tod - sich diesem Leben anheimzugeben und sich hineinfallen zu lassen in die Liebe Gottes, aus der er sein Leben hat - und erleben, dass Gottes Liebesmacht in seiner Schwachheit mächtig ist.

Das ist das Ostern, das Petrus erlebt, liebe Schwestern und Brüder.

Ein Ostern durch den Tod hindurch.
Der Sieg des Lebens aus Liebe.

Und das ist das Ostern,

  • das Maria, die Mutter Jesu schon unter seinem Kreuz,
  • das die Mutter von Gudrun Ensslin in Stammheim bei ihrer Tochter,
  • ebenso wie die Mütter auf der Plaza del Mayo in Argentinien,
  • ebenso wie Janusz Korczak und Alfred Delp und viele, viele andere

gelebt haben, obwohl Ostern tot war und die Liebe gestorben zu sein schienen.

Dieses Ostern ist die Erfahrung der Macht der Liebe, die alles andere ohnmächtig macht und jedes Ich will oder Ich will nicht aufgehen lässt in das eine große: Dein Wille geschehe. -

Dein Wille geschehe, das der angefochtene, Angstschweiß schwitzenden Jesus in Gethsemane ausgesprochen hat - UND ihn hat einwilligen lassen zu gehen, wohin er nicht wollte.

  • Das uns einwilligen lassen kann, geführt zu werden, auch dahin, wohin wir nicht wollen.

Und dieses Ostern des Petrus ist keines, das nur den Großen des Glaubens vorbehalten wäre, die dazu bestimmt sind ein großes Zeichen zu setzen und sei es durch ihren Tod.

Dieses Ostern ereignet sich für jeden Menschen, für Euch und mich und Dich, die wir heute gemeinsam Gottesdienst feiern und für jeden anderen ebenso, wenn wir es wagen, uns von Gott fragen zu lassen:

Du, Mensch, liebst du mich?

und uns trauen - vielleicht mit Tränen - vielleicht mit bitterer Erinnerung an unser Scheitern - vielleicht verzagt - schlicht zu sagen:

Ja, Gott!

Amen

 

Kanzelsegen                                                                                      

Und die Liebe Gottes, der höher ist als all unser menschliches Begreifen, stärke eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, die Wege zu gehen, auf die Gott euch führt.                                                                                                                         

Amen

 

Doerthe Brandner

Pfarrerin Ev. Kirchengemeinde Hüls